Der Fluss, das Rechtssubjekt

Moremi Zeil | Foto: aau/Müller

Im November 2016 entschied sich das kolumbianische Verfassungsgericht, dem Río Atrato Persönlichkeitsrechte zuzugestehen. Das Urteil wurde im Mai 2017 veröffentlicht. Der Geograph Moremi Zeil fragt in seiner Dissertation nach den Rahmenbedingungen, Ursachen und vor allem Folgen dieses Urteils.

Mit Moremi Zeil sitzt ein junger Mann beim Interview, der nur kurz überlegt, bevor er in druckfertigen Sätzen über sein Fach, seine Motivation und seine Forschungsfragen spricht. Mit ihm hat man es mit jemandem zu tun, dem das Intellektuelle ganz eigen zu sein scheint und der als Vertreter einer Generation kritisch über Gewesenes und Gegenwärtiges spricht, in mutiger Voraussicht auf Kommendes, das wir heute mehr denn je nur erahnen können. Schon Moremi Zeils Großvater war Geowissenschaftler. Fragt man ihn danach, ob er in Anbetracht der unsicheren Zeiten und der schwierig zu erreichenden wissenschaftlichen Karriere nicht auch neidisch auf seinen Großvater blickt, führt er aus: „Max Weber hat schon vor einem Jahrhundert gesagt, dass Wissenschaft reine Willkür ist. Wir messen zwar immer mehr; wer aber gut in der Wissenschaft ist und wer nicht, ist nicht vorherbestimmt. Schon früher war es immer auch möglich, keinen festen Platz an einer Universität zu bekommen. Ich lebe in Zeiten, die viel spannender, und auch mobiler sind. Mir macht es derzeit noch sehr wenig aus, dass ich nach drei Jahren möglicherweise woanders hingehen muss. Das Bild des lebenslangen Lernens an einer Arbeitsstätte löst sich auf, und das sehe ich auch positiv.“ Wie spannend die Zeiten für einen Geographen sind, zeigt auch das Thema, an dem Zeil arbeitet: In Kolumbien wurde einem Fluss der Status eines Rechtssubjekts zuerkannt. Moremi Zeil erkennt daran: „Die Kategorien unseres Denkens, unseres In-die-Welt-gestellt-Seins und die Art, wie wir Welt erfahren und beleben, ändern sich derzeit grundlegend. Selbst Kategorien wie Objekt und Subjekt verschieben sich.“ Zeil möchte in den kommenden Jahren analysieren, was diese Verfassungsgerichtsentscheidung nun für den Fluss, für die Menschen und das Land bedeutet.

Wie ist der Río Atrato nun zu diesem Status gekommen? Ausgangspunkt ist ein sehr lange andauernder Rechtsstreit zwischen den indigenen Gemeinden, die durch eine NGO vertreten werden und dem Nationalstaat, der nicht gegen den illegalen Bergbau in der Region vorging. Dieser illegale Bergbau hat zu massiven Veränderungen im Ökosystem des Flusses geführt, aber auch zu grundlegenden sozialen Zerwürfnissen. Die Klage der NGO gegen den Staat wurde zweimal abgelehnt, bis sich die Verfassungsrichterinnen und –richter selbst ein Bild der Lage des Río Atrato vor Ort machten und schließlich befanden, dass der Staat tatsächlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Nach dem Ganges (samt seinem Zufluss Yamuna) in Indien und dem Whanganui in Neuseeland erhielt der Río Atrato als dritter Fluss der Welt zur Durchsetzung seiner Rechte den Status eines Rechtssubjekts. Alle drei Urteile wurden übrigens 2017 gesprochen bzw. veröffentlicht.

Doch was heißt das nun für den Fluss? „Das wissen wir noch nicht genau; und ich möchte Antworten darauf in meiner wissenschaftlichen Arbeit finden. Wir kennen juristische Personen, in Form von Staaten. Auch Universitäten treten als solche auf. Diesen Status hat nun ein Fluss. Er ist damit, so könnte man argumentieren, menschlich geworden, zumindest ist er ein Subjekt geworden. Man könnte aber auch andersrum argumentieren:  Menschen sind nie nur menschlich. Genau in dieses Spannungsverhältnis fällt diese Entscheidung. Wie bringt man einen Fluss dazu zu sprechen? Welche Rechte hat er? Aber auch: Welche Pflichten hat er?“, so Zeil. In Kolumbien werden nun die ersten, sehr zeitnahen Maßnahmen gesetzt. Der Staat jagt Einrichtungen des illegalen Bergbaus öffentlichkeitswirksam in die Luft. Die NGO macht viel Öffentlichkeitsarbeit. Verschiedene Gremien werden einberufen, unter anderem die so genannten Hüter des Flusses, also natürliche Personen, die für die juristische Person sprechen. Dort finden sich Vertreterinnen und Vertreter der indigenen und afro-kolumbianischen Gemeinden sowie des Staats zusammen, Expertenpanels beraten. Aktuell steht auch die Bestimmung des Jetzt-Zustandes des Flusses an, um Veränderungen nachvollziehbar zu machen.

Schon im Jänner wird sich Moremi Zeil selbst ein Bild des Geschehens vor Ort machen und an den Río Atrato reisen. Dort wird auch das Beobachten und Befragen von Menschen am Tagesplan stehen. Im Sommer 2018 will er dann noch eine zweite Forschungsreise unternehmen. Seine Forschungsarbeit im Alltag besteht hingegen vor allem aus Lesen, Denken und Schreiben. Moremi Zeil ist „froh, Geograph zu sein“, hat ihm dieses Fach doch die Gelegenheit geboten, nicht zwischen Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften entscheiden zu müssen, sondern alles in einem vereint vorzufinden. Aufgewachsen im Traunsteiner Landkreis in der Nähe vom Chiemsee, ging er für das Studium nach Bayreuth und Bonn, dann für einen kurzen Exkurs außerhalb der wissenschaftlichen Welt nach Wien, um sich dann für die Stelle an der AAU zu bewerben: „Mich haben hier viele Dinge angesprochen: Ich wollte zurück in die Wissenschaft, die Bedingungen, hier angestellt zu arbeiten sind beileibe nicht schlecht und das Setting ist sehr gut für mich.“ Die Geographie steht mitten im Umbruch hin zu einer Epoche des Anthropozäns; das, was jetzt aufkommt, ist für Zeil „Herausforderung und Bestätigung“ für die Geographie gleichermaßen. Das klassische Metier der Forscherinnen und Forscher seines Faches ist die Fallstudie, in seinem Fall der Río Atrato. Nun gehe es aber erstmals seit langer Zeit darum, wieder an den großen geographischen Ideen zu arbeiten und diese Themen für sich zu beanspruchen. Zeil hat Zweifel, ob dies seinem Fach gelingt. Folgt man den wohlüberlegten Ausführungen des Nachwuchswissenschaftlers kommt hierfür aber auch ein Keim Hoffnung auf.

Auf ein paar Worte mit … Moremi Zeil

Was würden Sie derzeit machen, wenn Sie nicht Wissenschaftler wären?

Schwierig zu sagen, möglicherweise auf dem Feld oder an einer Hobelbank stehen. Oder Menschen in die Berge führen.

Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?

Da gehen unsere Ansichten manchmal auseinander, aber im Wesentlichen: ja.

Was machen Sie im Büro morgens als erstes?

Durchatmen, den Rechner anschalten und E-Mails lesen.

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an die Arbeit zu denken?

Ja. Ich versuche es und gelegentlich klappt das auch.

Was bringt Sie in Rage?

Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit.

Und was beruhigt Sie?

Bewegung und frische Luft.

Wer ist für Sie die größte WissenschaftlerIn in der Geschichte und warum?

Es gibt zu viele, um eine Person herauszustellen.

Wofür schämen Sie sich?

Für versäumte Termine und spätes Rückmelden.

Wovor fürchten Sie sich?

Vor Alternativlosigkeit.

Worauf freuen Sie sich?

Auf Kolumbien und vieles mehr.

Der Beitrag Der Fluss, das Rechtssubjekt erschien zuerst auf Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Source: AAU TEWI