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Gebärdensprache: Erst-, Zweit und/ oder Fremdsprache?

Fuenf Handzeichen in Gebaerdensprache

Zwei- oder Mehrsprachigkeit ist für viele Menschen, die die Gebärdensprache (GS) als Erst- oder Primärsprache nutzen, etwas Selbstverständliches, müssen sie sich doch meistens auch in der jeweiligen Laut- und Schriftsprache ihres Landes verständigen können. Das Erlernen der Lautsprache stellt GebärdensprachbenutzerInnen vor ganz unterschiedliche Probleme.

„Es ist ein Irrglaube“, wie Marlene Hilzensauer, Leiterin des Fakultätszentrums für Gebärdensprache und Hörbehindertenkommunikation (ZGH), erklärt, „dass jemand, der die Gebärdensprache spricht, automatisch auch die Lautsprache eines Landes beherrscht.“ Es handelt sich dabei um zwei eigenständige Sprachsysteme, die sich in Grammatik, Syntax und Vokabular stark voneinander unterscheiden und somit eigens erlernt werden müssen.

„Wünschenswert wäre es, wenn gehörlose Kinder von klein auf mit der GS als Muttersprache aufwachsen. Da aber nur rund 10 Prozent der gehörlosen Kinder auch gehörlose Eltern haben, ist dies meist nicht der Fall“, erläutert Hilzensauer. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: einige Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder gebärden, anderen wiederum fehlen die Informationen dazu. Das führt dazu, dass manche Kinder erst in der Schule oder noch später die Gebärdensprache lernen, was wiederum das Erlernen der Schriftsprache erschweren kann.

„Neue Technologien wie Videotelefonie erleichtern zwar heutzutage die Alltags-Kommunikation, dennoch sind Schriftsprachen eine Voraussetzung, um in unserer Welt Zugang zu Bildung, Arbeit, Kultur und Kommunikation zu bekommen und somit die gleichen Chancen wie hörende Menschen zu haben.“ Hier setzen Projekte des ZGH, wie Deafli (www.deafli.com) bzw. auch „Deaf Learning“ (www.pzg.lodz.pl/deaflearning), an, die die Schriftsprachfähigkeiten Erwachsener mithilfe von Lernmaterialien und Multimedia-Angeboten verbessern sollen.

Beim Erlernen einer Laut- oder Schriftsprache stehen gehörlose Kinder und Erwachsene vor ähnlichen Herausforderungen wie hörende Menschen, zudem müssen aber noch andere Dinge beachtet werden, wie Hilzensauer ausführt: „Die visuelle Dimension der Sprache verlangt die volle Aufmerksamkeit der BenutzerInnen. Wird ihnen mittels GS etwas beigebracht, z. B. eine andere Sprache, können sie nicht mitschreiben und gleichzeitig den Gebärden folgen. Gerade in der Schule ist das für GS-BenutzerInnen problematisch.“

Die Schwierigkeit beim Erlernen einer Lautsprache liegt zudem in der für GS-BenutzerInnen abstrakten Ausdrucksweise der Lautsprache. In der deutschen Lautsprache heißt es beispielsweise: „Ich mache die Tür auf.“ GS-BenutzerInnen gebärden konkreter. Hier kommt es darauf an, ob ein Türknopf geöffnet wird oder eine automatische Tür, eine Schiebetür usw. So kann es einerseits beim Erlernen der Schriftsprache, aber auch beim Dolmetschen zu Verständigungsproblemen kommen. Zusätzlich ist der Einsatz der Mimik in der GS zentral, da sie grammatikalische Informationen kommuniziert.

Gebärdensprachen sind nicht international. „Die Sprachfamilien sind andere als in den Lautsprachen. Beispielsweise ist die Österreichische Gebärdensprache historisch eng mit der französischen verwandt, jedoch nicht mit der deutschen. Man beherrscht eine andere GS nicht automatisch, sondern muss sie erwerben wie eine Fremdsprache“, so Hilzensauer.

für ad astra: Katharina Tischler-Banfield

Zur Person

Marlene Hilzensauer ist Leiterin des Fakultätszentrums für Gebärdensprache und Hörbehindertenkommunikation (ZGH). Sie arbeitet neben der Lehre und der Gebärdensprachforschung an der Entwicklung von Lern- und Lehrmaterialien (für ÖGS bzw. mit ÖGS als Unterrichtssprache), insbesondere an Multimediasprachkursen für gehörlose Menschen.

Marlene Hilzensauer

Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist seit 2005 in Österreich als Sprache anerkannt und in der Bundesverfassung verankert. In Österreich leben rund 9.000 bis 10.000 gehörlose Menschen, deren Muttersprache bzw. bevorzugte Sprache die ÖGS ist. Dazu kommen noch ca. 500.000 schwerhörige oder spätertaubte Menschen.

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Source: AAU TEWI

„Wenn man literarisch schreibt, muss man sich immer aufs Spiel setzen.“

Literatur und Krankheit | Foto: Ralph/Fotolia.com

Artur R. Boelderl fragt nach dem Wesen der Literatur. Mit ad astra hat er über körperliche und seelische Grenzerfahrungen bei Lesenden und Schreibenden gesprochen.

Ist Schreiben gesund?
Ja, Schreiben kann eine psychohygienische Funktion haben. Man muss aber differenzieren. Bei den Stoikern wie Marc Aurel ist die Übung des Schreibens eine Form der Selbstbeobachtung und Selbsterziehung ohne Publikumsausrichtung. Dabei handelt es sich um einen inneren Monolog, gleichsam mit dem Papier, auf dem man schreibt, das hat ordnende und reinigende Funktion. Ob allerdings literarisches Schreiben immer gesund ist, möchte ich bezweifeln, kann es doch auch in den Exzess ausarten. Nietzsche beispielsweise hat oft Tag und Nacht schreibend verbracht, bis an die Grenzen der Erschöpfung. Ein anderes Beispiel ist Kafka. Er hat den Schreibexzess als negative Form der Selbsterziehung begriffen, nach dem Motto: Wenn ich mich nicht völlig verausgabe und im Schreiben an die Grenzen meiner selbst gehe, kann das Geschaffene keinen poetischen Wert haben. Literarisches Schreiben wird oft zum selbstverzehrenden Schreiben.

Und wie heilsam kann das so Geschaffene für den Einzelnen und für die Gesellschaft sein?
Literatur ist wie andere Künste eine maßgebliche und unersetzliche Form der Selbstverständigung des Menschen. In Literatur, im Film und in der Musik bekommt der Mensch seine eigene Existenz vermittelt, über sie schreibt er sich in eine Kultur ein. Diesen Vorgang halte ich für unerlässlich. Literatur ist also „gesund“, in Anführungszeichen – und mit Nebenwirkungen. Deshalb interessiere ich mich auch für Psycho-Soma-Poetologie. Lesen kann sogar zu körperlicher Erschöpfung führen. Jeder von uns hat schon einmal die Erfahrung gemacht, ein Buch gar nicht mehr weglegen zu können. Literatur kann auch Lese-Exzesse erfordern.

Inwiefern nimmt das Kranke Raum in der Literatur ein?
Als Literaturtheoretiker frage ich mich: Was ist Literatur und womit beschäftigt sie sich? Ich stehe hier unter dem Einfluss von Georges Bataille, einem französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, der ein Buch mit dem Titel „Die Literatur und das Böse“ geschrieben hat, im französischen Original „La littérature et le mal“. Und „le mal“ ist auch das Kranke. Bataille geht es nicht nur um das moralisch Böse, sondern auch um das, was überhaupt zuwider ist, auch im physischen Sinne sowie an der Schnittstelle zwischen Seele und Körper. Sobald die Literatur in der Moderne aufhört, Regelpoetik zu sein, ufert sie in alle Richtungen aus und wuchert wie ein Krebsgeschwür. Sie liefert eine Beschreibung des Lebens in seiner ganzen Breite und Fülle. Und dazu gehören auch Krankheiten.

Worin liegen die Vorteile des Kranken gegenüber dem Gesunden?
Die Antwort ist einfach: Das Kranke ist spannender. Literatur dient immer auch der Unterhaltung, die nicht nur heiter, sondern auch voller Spannung, Schrecken und Schauder sein kann. Abweichungen und Pathologien sind literarisch interessanter als die Norm und das Normale. Das ist nicht zuletzt in literaturdidaktischer Perspektive bedeutsam: Im Literaturunterricht können wir den Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass es in der Literatur etwas zu verstehen gibt, etwas, was sich nicht von selbst versteht. Problemlösungskompetenz ist eine Sache; der Literatur hingegen geht es um Problemfindungskompetenz. Schülerinnen und Schüler können so dafür gewonnen werden, mit Begeisterung auf die Frage zuzugehen, was einen Text umtreibt.

Inwiefern sind diese Befunde epochenübergreifend?
Wenn man sich für das Wesen von Literatur interessiert, wird man bald feststellen, dass sie ihre Gestalt im Laufe der Geschichte verändert. Wie wir sie heute als hohe Kunst kennen, in diesem emphatischen Literaturverständnis, taucht sie erst spät auf. Und damit auch die Figur des Künstlers, mit der das Interesse für Biographie und Autobiographie einhergeht. Wenn sie beginnt, sich selbst zu beschreiben, mit allen Irrungen und Wirrungen, stößt die charakteristische moderne Künstlerfigur auch auf die Widersprüche zwischen Gesundsein und Kranksein.

Der kranke Künstler, der aus seinem Leid erst Genialität schafft, gilt als Gemeinplatz. Hat dieser Stereotyp Berechtigung?
Nicht im Sinne einer Repräsentation von Krankheitsbildern, doch dieses Moment der Selbst- und Fremdbeobachtung spielt eine ganz wesentliche Rolle. Der kranke Künstler oder die kranke Künstlerin hat im Unterschied zu nicht künstlerisch in der Welt seienden Menschen eine höhere Sensibilität, die, wenn sie zur Hypersensibilität wird, allein schon ein Krankheitsbild darstellt. Der Psychotiker zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht zwischen den Dingen, die ihn angehen und betreffen, und den anderen differenziert. Ihn geht alles an. Er wird von allem betroffen. Er steht völlig im Mittelpunkt seiner Welt. Wenn man Handke liest, gewinnt man einen Eindruck davon. Ohne Handke oder vergleichbare Künstler umstandslos als Psychotiker oder Egomanen bezeichnen zu wollen, ist es doch diese Form der Ich-Zentriertheit, die eine Voraussetzung für literarisches Schreiben darstellt.

Der Künstler muss sich also wichtig nehmen, oder?
Für eine Veröffentlichung braucht es vielleicht sogar Hochmut. Bataille wirft die Frage auf: Was für ein unglaublicher Affront ist es eigentlich, etwas niederzuschreiben in der Hoffnung, dass jemand anderer dafür Interesse entwickelt und es liest? Die Autorin oder der Autor muss sich dann aber zurücknehmen und vom Text lösen. Umberto Eco fordert sogar, der Autor müsse das Zeitliche segnen, nachdem er geschrieben hat, damit er die Eigenbewegung des Textes nicht stört. Es gibt schließlich nichts zu erklären über das hinaus, was der Text ohnehin selbst sagt.

Achtsamkeit und Sich-Spüren sind im Trend. Sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller heute achtsamer mit sich als früher?
Wenn man literarisch schreibt, muss man sich immer aufs Spiel setzen. Man muss sich ins Spiel bringen und auch von sich selbst distanzieren. Dabei kann man sich objektiv betrachten, man kann aber auch experimentieren und den Selbstverlust im Schreiben suchen. Insofern gehört es zum Literaturschaffen dazu, in einen sensiblen Austausch mit sich zu treten.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Artur R. Boelderl ist Universitätsdozent am Institut für Philosophie und seit 2016 Senior Scientist für Literaturdidaktik an der Abteilung für Deutschdidaktik des Instituts für Germanistik . Von 2014−2016 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im FWF-geförderten Forschungsprojekt „Topographien des Körpers“ an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. 2017 leitete er die 57. Literaturtagung des Instituts für Österreichkunde unter dem Titel „Vom Krankmelden und Gesundschreiben. Literatur und/als Psycho-Soma-Poetologie?“. 2018 findet unter seiner Ägide die Tagung „Kakanien oder ka Kakanien. Österreichs Geschichte 1918−2018 im Spiegel der Literaturen“ von 15.−17. November in St. Pölten statt.

Artur R. Boelderl | Foto: aau/riccio

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Source: AAU TEWI

Sehnsuchtsräume zwischen Kunst und Wissenschaft

Leerstehendes Hotel Palace bei Malinska auf der Insel Krk in Kroatien | Foto: Daniele Ansidei

Alpen-Adria-Gastprofessor Michael Zinganel lehrte ein Semester an der AAU zur Kulturgeschichte der Hotels. Im Interview mit ad astra erzählt er, wie sich die einst strahlenden Ferienbunker der Tito-Zeit an der kroatischen Adriaküste verändert haben.

Herr Zinganel, Sie sind Architekt, Künstler und Kulturwissenschaftler. Wie kam es dazu?

Als ich in Graz Architektur studierte, leistete ich mir so manche produktive Ab- und auch Irrwege. Nachdem ich noch während des Studiums beim Kärntner Architekten Günther Domenig die Gelegenheit bekam, das Besucherzentrum für das Funder- Werk II in St. Veit zu bauen, war mein Bedarf, mich als Architekt zu verwirklichen, schon frühzeitig gedeckt.

Wie machte sich das bemerkbar?

Ich arbeitete damals auch als Kulturreferent der Hochschülerschaft der TU Graz. Die Begegnungen mit Künstlern und Künstlerinnen inspirierten mich, in eine durchaus erfolgreiche künstlerische Karriere zu flüchten. Ich ging unmittelbar nach dem Architekturstudium nach Holland, um an der Jan van Eyck Academie Kunst zu studieren.

Und Sie sind nach Wien zurückgekehrt.

Aus Ehrgeiz wollte ich mich unbedingt in Wien – nicht in Graz – durchsetzen. Aber als ‚gelernter’ Architekt tat ich mir schwer mit der künstlerischen Freiheit und damit, mir selbst Themen zu stellen. Meine erste eigene Ausstellung in Wien war dann auch keine klassische Kunstausstellung, sondern eine anthropologisch konzipierte über damals leerstehende Gemeinschaftseinrichtungen in den Gemeindebauten des roten Wiens.

Wie kamen Sie dazu, als Architekt eine Dissertation in Geschichte zu schreiben?

Während meines zweiten eigenständigen Langzeit-Projektes über Karl Marx’ Theorie der Produktivkraft des Verbrechens für die Architektur und Stadtplanung und -wahrnehmung, bot mir der Wiener Historiker Siegfried Mattl an, darüber eine Dissertation in Zeitgeschichte zu schreiben. Dabei stellte ich fest, dass sich in der Zeitgeschichte meine so hybriden Qualifikationen sehr sinnvoll vernetzen ließen.

Dann der Wechsel in die Tourismusforschung.

Nach Jahren der Abgrenzung begann ich mich wieder mit der Region, in der ich aufgewachsen bin, auseinanderzusetzen: Und das war die Tourismusregion rund um Zell am See. Ich habe 2002 mit einem Schweizer Kollegen Peter Spillmann ein Forschungsprojekt zu den Hinterbühnen des Tourismus initiiert. Mein Part waren die alpinen Erlebnislandschaften in Tirol, wo aus kleinen Bergdörfern innerhalb kürzester Zeit urbane Agglomerationen wurden, die in der Saison um das Vielfache ihrer Einwohnerzahl anwachsen. Die neue Generation von Unternehmerfamilien hatte sich von der bäuerlichen Kultur losgelöst und lernte schnell, sich den touristischen Bedürfnissen anzupassen: Auf engstem Raum werfen sich hier die einen in popkulturelle Event-Ekstase während die anderen die Rückzugsorte authentischer Naturerfahrung genießen.

Die Architektur und Geschichte sozialistischer Ferienanlagen der Adriaküste interessierten Sie ganz besonders.

Das ist richtig: Auch hier ist das Interesse zum Teil autobiografisch in den Urlaubserinnerungen aus meiner Kindheit und den Studienreisen als Architekturstudent gegründet. Ästhetisch sind die großen, modernen Hotelanlagen und Ferienlager im ehemaligen Jugoslawien gewissermaßen Gegenmodelle zu den kleinteiligen alpinen Wucherungen in unseren Alpen. Sie waren Symbole für die Modernisierung Jugoslawiens und den Erfolg seines Dritten Weges: Dementsprechend waren sie mit modernem Design und zeitgenössischer Kunst ausgestattet. Die Frage nach dem Wandel ihrer kulturellen Wertschätzung und ihrem Schicksal während und nach dem Krieg bewegten mich dazu, eine Ausstellung im Grazer Haus der Architektur zu entwickeln. Aber es gab auch ein ernsthaftes kriminalistisches Interesse, wer denn hier die Gewinner von Krieg und Privatisierung seien.

Was ist aus Titos Flaggschiffen geworden?

Es existierten zum Zeitpunkt meiner Recherchen noch sehr viele melancholische Hotel- und Resort-Ruinen entlang der Adria, jedenfalls mehr als neu gebaute oder top sanierte. Dies lag vor allem auch an den ungeklärten Besitzverhältnissen. Die großen Tourismusbetriebe in Jugoslawien wurden in sozialistischer Selbstverwaltung geführt auf Grund und Boden errichtet, der im sozialen Eigentum aller stand. 1991 ließ die nationalistische Regierung Tuđman das soziale Eigentum auf kroatischem Boden verstaatlichen – in der Absicht, es im Kreise ihm vertrauter Patrioten zu privatisieren. Dazu kam es nicht mehr, denn mit der Unabhängigkeitserklärung im Mai begann der Krieg, 80 Prozent der Hotelanlagen an der Adria wurden schließlich als Flüchtlingslager benutzt, und manche sind seitdem nie mehr auf die Beine gekommen. Als mit Jahren Verspätung die Privatisierung und die Reinvestitionen tatsächlich wieder anliefen, war die Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Bank ganz schnell groß mit dabei – und ebenso schnell zahlungsunfähig! Und der Investitionsboom durch die Krise vorübergehend wieder beendet.

Wie steht das alles in Verbindung mit Ihrer Gastprofessur?

Die geografische und inhaltliche Verbindung meiner Arbeiten mit dem Alpen-Adria- Raum ist ja offenkundig. In weiteren Arbeiten beforschte ich die Arbeitsmigration im alpinen Tourismus oder den Lebensraum Straße entlang der pan-europäischen Straßenverkehrskorridore zwischen dem ehemaligen Osten und Westen Europas – auch diese durchkreuzen die Alpen- Adria-Region.

Was vermitteln Sie den Studierenden in der Lehrveranstaltung?

Die Studierenden erhalten einen Einblick in kulturwissenschaftlich geprägte Tourismus- Theorien und in die Geschichte einer kulturwissenschaftlich inspirierten Forschung zu Hotels. Es ist sehr erstaunlich, dass viele von den Studierenden bereits sehr spezielles Wissen über bestimmte Hotels in die Lehrveranstaltung mitbringen. Sie analysieren anhand von Befragungen, Beobachtungen und Diskursanalysen, wie Sehnsüchte bezüglich bestimmter Reisedestinationen und Typen von Hotels produziert und reproduziert werden, warum Hotels scheitern oder erfolgreich sind. Es ist durchaus spannend zu erforschen, wie ein aus einem bäuerlichen Hintergrund hervorgegangenes Hotel in den Kärntner Bergen gewachsen ist, welche Motive zu den immer neuen Investitionen führten und wie diese finanziert wurden – wie also und Gastgebern gemeinsam gestaltet wird.

An welchem Projekt arbeiten Sie derzeit? Dem Wiener Nordwestbahnhof. Anlässlich der Wiener Weltausstellung von 1873 noch prominent eröffnet, wurde der Bahnhof nach dem 2. Weltkrieg zu einem wichtigen Logistikzentrum und Güterumschlagplatz in Innenstadtnähe ausgebaut. Gleichzeitig verschwand er dadurch auch aus dem Bewusstsein der WienerInnen. Bevor das Areal nun aber einem neuen Wohnbaugebiet weichen wird müssen, habe ich mich mit meinem Kollegen Michael Hieslmair am Gelände eingemietet, um in einem Projektraum vor Ort dessen Geschichte aufzuarbeiten und um die wirtschaftshistorische Bedeutung dieses vorübergehend vergessenen Ortes im Zentrum Wiens in Erinnerung zu rufen: Hier sind die ersten frischen Fische 1899 aus der Nordsee in Wien angekommen; 1938 fand aber auch hier die NS-Propagandaausstellung „Der Ewige Jude“ statt.+

für ad astra: Lydia Krömer

Zur Person

Michael Zinganel studierte Architektur in Graz, Kunst an der Jan van Eyck Academy Maastricht und promovierte in Zeitgeschichte an der Universität Wien. Er arbeitet als Kulturwissenschaftler, Künstler und Kurator in Wien: u. a. über transnationale Mobilität, Massentourismus und Migration. Er ist Mitbegründer von Tracing Spaces. Zum Thema Tourismus publizierte er u. a. Holiday after the Fall – Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and Croatia. Berlin: jovis 2013.

Zinganel Michael - AAU Gastprofessor | Foto: aau/Krömer

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Source: AAU TEWI

Im Kosmos von Anke Bosse

Anke Bosse für ad astra | Foto: aau Daniel Waschnig

Mein gewählter Ort ist der Aussichtsturm auf dem Pyramidenkogel, weil er mitten in Kärnten steht und man gleichzeitig etwas enthoben ist. Von hier aus sieht man je nach Wetterlage nach Italien, Slowenien und bis nach Deutschland hinüber. Weitblick ist mir sehr wichtig. In Kärnten fällt mir die Tendenz auf, allzu sehr um sich selber zu kreisen. Da ist Weitblick ganz dringend vonnöten, und zwar vor allem mental. Es geht um die Überwindung der Grenzen im Kopf, um Horizonterweiterung. Ich bin froh, dass die Universität und das Musil-Institut hier tagtäglich ganz wichtige Beiträge leisten. Und nicht nur sie.

Ich wollte immer Forschung mit Lehre verbinden. Ich mag es, mich mit jungen Menschen auszutauschen und zu erleben, wie sie beginnen, Selbstbewusstsein zu entwickeln und ein Profil auszubilden. Ich empfehle ihnen, noch während des Studiums ein Semester in die Welt hinauszugehen und nicht erst danach. So erst finden sie heraus, was und wer sie sind.

Die Vielsprachigkeit und das Internationale haben sich bei mir durch die Laufbahn in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Belgien ergeben. Kärnten passt dazu, weil es zum vielsprachigen Alpen-Adria-Raum gehört. Sprachen halten sich ja nicht an Landesgrenzen. Ich finde es gut, dass die Universität diese Idee als Programm hat.

Meinen Mann kenne ich seit 1998. „Schuld“ ist Peter Handke. Als junge Universitätsprofessorin wollte ich die Griffener Handke-Ausstellung nach Belgien holen. Aufbau und Technik der dafür extra konzipierten Wanderversion waren aber so kompliziert, dass einer der Ausstellungsarchitekten mitgefahren ist. Das war mein Glück. Dietmar Kaden, mein späterer Mann, kam mit. Es hat bei uns gleich beim ersten Mal gefunkt. 2005 heirateten wir. Doch wir mussten bis 2015 – also insgesamt 17 Jahre – durchhalten, bis wir an einem Ort zusammen leben konnten.

Es gibt auch ein Leben außerhalb der Literatur. Ich mag Musik, besonders Klassik und Jazz. Dietmar spielt Schlagzeug, ich – leider viel zu selten – Klavier. Außerdem wandern wir gern. Wenn Klagenfurt in der Nebelsuppe liegt, erklimmen wir von Ottmanach aus den Magdalensberg und essen oben Kasnudln. „Erwandert“ schmecken sie besonders gut. Oder es geht zur Klagenfurter Hütte in die Karawanken, zum Alten Loibl, zum Monte Luschari … Und mal schnell nach Slowenien, nach Italien fahren zu können, ist einfach fantastisch.

Im Sommer gehen wir, wenn uns die Arbeit Zeit dafür lässt, baden. Das Strandbad Klagenfurt mögen wir wegen der Menschenmassen nicht, da sind uns die vielen kleinen Seen und Bäder lieber. Wir haben beide das Kroatische Küstenpatent für Motorboote. Ich bin also selber Skipperin. Ich wollte nie eine von den Frauen sein, die bloß am Deck herumliegen und höchstens beim Anlegen mit dem Seil an Land hüpfen dürfen. Nun sind wir jedes Jahr mindestens einmal in Kroatien, mieten uns ein Boot und legen in schönen Buchten an, wann und wo es uns gefällt.

Dietmar ist Architekt, einer der beiden Architekten dieses Aussichtsturms. Die regelmäßig versetzten Ellipsen, durch die der Turm seine einzigartige skulpturale Form erhält, ist seine Idee. Wenn man so unterschiedliche Berufe hat, hat man sich auch was zu erzählen. Nach Hause kommen und jemand ist da, ist eine besondere, schöne Situation. Wir sind gegenseitig unsere wichtigsten Ratgeber. Aber man muss nicht immer alles bereden. Das stillschweigende Einverständnis gibt es immer wieder. Ein  besonderer Moment.

Für ad astra aufgezeichnet von: Barbara Maier

Zur Person

Geboren: 1961 in Hannover, Deutschland

Beruf: Universitätsprofessorin für Germanistik, Leiterin vom Robert Musil-Institut / Kärntner Literaturarchiv

Ausbildung: Studium der Germanistik, Romanistik und Komparatistik in Göttingen, Avignon, München

Kosmos: Pyramidenkogel, Keutschach in Kärnten, am 20. Dezember 2017

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Source: AAU TEWI

Der Mensch & alles um ihn herum

Robert Gennaro Sposato | Foto: Teresa Sposato

Robert Gennaro Sposato interessiert sich als Umweltpsychologe dafür, wie es dem Menschen in seiner Umwelt und im Umgang mit allem, was um ihn herum ist, ergeht.

Um Robert Sposatos ökologischen Fußabdruck war es nicht immer gut bestellt. Der Psychologe mit Schwerpunkt Umwelt- bzw. Sozialpsychologie absolvierte sein PhD-Studium an der Cardiff University in Wales. Um Beziehungen zu Freundinnen und Freunden bzw. zur Familie über dreieinhalb Jahre aufrecht zu erhalten, flog er häufig mit dem Billigflieger nach Hause. „Um dieses CO2-Budget abzuarbeiten, muss ich noch jahrelang sparsam leben“, erzählt er. Heute fährt er, der in Villach als Sohn einer Kärntner Mutter und eines kalabrischen Vaters geboren und aufgewachsen ist und danach für das Psychologiestudium nach Wien ging, mit dem Zug nach Klagenfurt. An der Abteilung für Nachhaltiges Energiemanagement der AAU forscht und lehrt er auf einer Post-Doc-Stelle zu Wahrnehmungen und Einstellungen zu Erneuerbaren Energien in Österreich.

Robert Sposato ist nun bereits das zweite Jahr im Team von Nina Hampl, die an der AAU die Stiftungsprofessur für Nachhaltiges Energiemanagement innehat. Er will wissen: Wie denken die Österreicherinnen und Österreicher über Erneuerbare Energien? Reicht ihr Engagement so weit, dass sie auch bereit sind, Geld dafür in die Hand zu nehmen, oder bleibt es bei Lippenbekenntnissen? Und: Welche Maßnahmen würden sie bei der Umstellung auf erneuerbare Energietechnologien unterstützen? „Wenn wir mehr darüber wissen, wie Menschen über diese Sachverhalte denken und warum sie in die eine oder andere Richtung tendieren, dann können wir vielleicht auch die letzten fünf Prozent davon überzeugen, wie der Klimawandel wirkt und was dagegen zu tun wäre“, so Sposato.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen eine sehr positive Einstellung zu erneuerbaren Energien und auch die Bereitschaft zu investieren. Wobei Robert Sposato einschränkt: „Wir fragen nur danach, ob jemand dafür Geld ausgeben würde. Ob dies dann auch tatsächlich geschieht, können wir nur aus anderen Daten rückschließen.“ Insgesamt zeige sich eine durchwegs hohe Investitionsbereitschaft, und auch die Aussichten für den Elektroautomarkt folgen diesem Trend: So geben derzeit rund 16 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Umfrage an, als nächstes Auto ein Elektroauto kaufen zu wollen. Rund die Hälfte der Befragten kann sich dies grundsätzlich vorstellen. Die Gründe dafür und dagegen seien die Üblichen: „Einerseits spart man sich Geld für Benzin und tut etwas Gutes für die Umwelt. Andererseits sind die Autos und Akkumieten noch recht teuer und die Reichweite ist für viele noch ungenügend“, so Robert Sposato. Nun sei für ihn der Markt gefragt, adäquat zu reagieren und ein breites Angebot aufzustellen.

Dass der Tritt auf das Gaspedal in einem vernünftigen Elektroauto nicht mit dem lustvollen Gasgeben in einem benzingetriebenen und PS-starken Porsche zu vergleichen sei, lässt Sposato nicht gelten. „Die Beschleunigung kann da und dort gut sein und als lustvoll erlebt werden.“ Umweltbewusstes Handeln müsse nicht unbedingt immer mit Verzicht einhergehen, vielmehr glaubt er an die Notwendigkeit einer schrittweisen Anpassung: „Ein System muss sich permanent ein wenig anpassen, in seiner Gesamtheit kann es so aber bestehen bleiben und trotzdem eine neue Gestalt annehmen. So können wir die Akzeptanz erhöhen und in Richtung eines Wertewandels, der von vielen mitgetragen wird, gehen.“ Letztlich müssen sich dafür Technologien weiterentwickeln. Und
gleichzeitig müsse der Mensch mehr denn je hinterfragen, was heute vielfach als selbstverständlich gilt: Braucht die Wirtschaft wirklich ewiges Wachstum? Und können wir die Lust, die heute Konsumieren, Energieverbrauchen, Ressourcenverschwendung bereiten, nicht auch anders definieren? „Alles ist eine Relation und in Perspektive zu sehen.“

Robert Sposato möchte gerne in der Wissenschaft bleiben, wenngleich er für sich auch andere Optionen sieht. In den letzten Jahren war er viel unterwegs. Sein Fach der Umweltpsychologie ist international etabliert, national aber eher überschaubar; umso mehr ist so mancher Flug erforderlich, um sich mit den Expertinnen und Experten zu vernetzen und in der wissenschaftlichen Karriere voran zu kommen. Sposato lebt heute gerne am Land. Das Graffiti, das an einer Verkehrstafel bei der Autobahnabfahrt Klagenfurt West gesprayt ist, „die Provinz“, ist für ihn treffend. Aber: „Wenn ich mich in der U-Bahn in Wien umsehe, sehe ich die gleichen Menschen wie im Zug zwischen Klagenfurt und Villach. Nur mehr davon. Wenn ich dieses ‚Mehr‘ will, auch an Kulturangebot, bin ich in knapp vier Stunden in Wien. Ansonsten lohnt auch der Blick darauf, das zu nutzen, was es hier gibt. Und das ist nicht zuletzt die überwältigende Natur.“

für ad astra: Romy Müller

Auf ein paar Worte mit … Robert Gennaro Sposato

Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?
Ein mäßig begabter, aber enthusiastischer Möbeltischler

Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Ja. Vielleicht sogar besser als ich!

Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Das Büro wieder verlassen, um einen Espresso zu holen

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Nein. Es stört mich aber nicht weiter und entspricht meiner Auffassung, dass sich im wissenschaftlichen Betrieb nur schwer Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit ziehen lassen, insbesondere in Bezug auf Forschungsarbeiten.

Was bringt Sie in Rage?
Wenig achtsame Mitmenschen

Und was beruhigt Sie?
Das Meer oder ein sonniger Fleck im Wald

Wer ist für Sie die/der größte WissenschaftlerIn der Geschichte und warum?
Ich finde es schwierig, mich hier festzulegen. Mich faszinieren aber grundsätzlich Personen, die es schaffen, in mehr als nur einem Tätigkeitsbereich Exzellenz zu erreichen. Alan Touring etwa, der sowohl als Wissenschaftler, aber auch als Marathonläufer an der Weltspitze stand.

Wovor fürchten Sie sich?
Gottesanbeterinnen

Worauf freuen Sie sich?
Auf Zeit mit Familie und Freunden

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Source: AAU TEWI

Ungetrübte Sicht bei endoskopischen Operationen

Endoskopische Operationen

Bei Operationen kommt es oft zu unerwünschter Rauchentwicklung, und diese verhindert ein Weiteroperieren der Chirurgen. Ein Team von ForscherInnen am Institut für  Informationstechnologie beschäftigt sich mit der Entwicklung von Echtzeit-Raucherkennungssystemen in Zusammenarbeit mit ÄrztInnen und dem Medizinunternehmen Karl Storz.

Der Fortschritt in medizinischer Forschung erlaubt es heute, viele Operationen in Form von minimal-invasiven Eingriffen vorzunehmen. Dabei werden mittels digitaler Minikamera am Endoskop Bilder vom Inneren des Menschen auf einen Bildschirm nach außen übertragen. Bei diesen Operationen kommt es zur Rauchentwicklung, wenn beispielsweise anhand elektronisch erhitzter Instrumente oder Laser Gewebe schonend zertrennt, verschorft oder Blutungen gestillt werden müssen. Diese Geräte erzeugen unter bestimmten Umständen so viel Rauch, sodass die Bildqualität der nach außen übertragenen Aufnahmen deutlich verschlechtert wird. Dann setzen bei diesen chirurgischen Verfahren Rauchabzugssysteme ein, die oft noch manuell vom medizinischen Personal per Fußtaster oder über hochspezialisierte Sensoren aktiviert werden. Die chirurgische Rauchwolke beinhaltet potenziell schädliche Substanzen wie Toxine, Viren, Bakterien oder Feinstaub, die ein Gesundheitsrisiko sowohl für das medizinische Personal als auch für die PatientInnen darstellen.

Andreas Leibetseder arbeitet gemeinsam mit seinen Kollegen daran, dass mittels Bildanalyse automatisch und in Echtzeit erkannt wird, wann Rauch entsteht. „Wir haben 30.000 benutzerdefinierte laparoskopische Bilder analysiert und als Trainingsdaten für maschinelles Lernen verwendet“, sagt Leibetseder. Die Forschungsgruppe arbeitet hier eng mit Jörg Keckstein, Gynäkologe am LKH Villach, zusammen und konzentriert sich auf endoskopische Operationen in der Gynäkologie, insbesondere bei der Behandlung Endometriose. Hinter allem steht das Ziel, eine zuverlässige Raucherkennung in laparoskopischen Livestreams zu erkennen.

Die Herausforderung besteht darin, den Computer so zu trainieren, dass dieser erkennt, ob es sich um Rauch- oder Nicht- Rauch-Bilder handelt und diese entsprechend zuordnet. Leibetseder weiter: „Zum Schluss hat man ein Modell, das auf Bilder angewendet werden kann, die der Computer noch nicht kennt.“ Die Analyse der 30.000 Bilder diente dazu, das System zu trainieren und einen Prototyp zu entwickeln. In weiterer Folge kann das System mit der Rauchabzugsanlage verknüpft und bei Rauchentwicklung automatisch gestartet werden. Dafür müsste eine eigene Hardware in Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner, dem Medizinunternehmen Karl Storz, entwickelt werden, führt der Forscher weiter aus.

In einem weiteren Schritt wurde in einer Studie ein Datensatz von über 100.000 Bildern verwendet. Leibetseder: „Wir entwickelten eine andere Methode, um Rauch von Nicht-Rauch-Bilder zu unterscheiden, die sich auf die Analyse von Farbkomponenten bezieht.“ Bilder, die ein hohes Maß an Rauch beinhalten, weisen eine niedrige Bildsättigung auf, daher kann diese als guter Indikator für den Erkennungsprozess herangezogen werden.

Auf die Frage hin, welche Methode am zuverlässigsten und in Echtzeit Rauch- von Nicht-Rauch-Bilder unterscheide, meint Leibetseder: „Beide Methoden haben ihre Vorteile. Die Sättigungsanalyse zeigt eine gute Klassifizierung und Echtzeit, das Lernen ist jedoch qualitativ besser.“

für ad astra: Lydia Krömer

 

Zur Person

Andreas Leibetseder ist Wissenschaftler am Institut für Informationstechnologie und forscht gemeinsam mit Manfred Jürgen Primus, Stefan Petscharnig und Klaus Schöffmann am Projekt KISMET (Knowledge & Information Sharing in Medical Expert Teams).
https://visurge.wp.itec.aau.at/projects/kismet/

Andreas Leibetseder | Foto: aau/KK

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Source: AAU TEWI

No care, if it’s there. Der Umgang mit Wasser im öffentlichen Diskurs.

Risiken von Wasserversorgung

Franzisca Weder untersuchte öffentliche Diskurse zu den Risiken von Wasserversorgung und Wasserknappheit. Ergebnis ist, dass Wasser als Thema vor allem in politischen Diskursen genutzt und auch ausgenutzt wird. Eine kritische, ausgewogene Problematisierung in öffentlichen Diskursen findet jedoch kaum statt.

Frau Weder, wieso ist ein öffentlicher Diskurs so wichtig?

Für eine nachhaltige Lösung der derzeitigen ressourcenökonomischen Herausforderungen ist ein öffentlicher Diskurs unbedingt notwendig. Vor allem aber auch, um einen partizipativen Transformationsprozess anzuregen.

Welche Rolle spielen die Medien dabei?

Medien schaffen eine zentrale Arena für diesen Diskurs. Sie ermöglichen erst die Öffentlichkeit, die die Grundlage jeder nachhaltigen Entwicklung ist. Der Klimawandel wird als eigenständiges Thema wahrgenommen. Die mediale Repräsentation anderer Bereiche nachhaltiger Entwicklung wie zum Beispiel Ressourcenfragen oder, noch spezieller: das Menschenrecht auf Wasser ist dagegen kaum erforscht. Dazu gehören auch die damit zusammenhängenden individuellen und kollektiven Handlungsmuster.

Aber zum Beispiel in Spanien ist man mit Wasserknappheit doch schon massiv konfrontiert?

Das stimmt. In Europa ist das Thema in einigen Ländern, z. B. in Spanien und Bulgarien, bereits sichtbare und schmerzhafte Realität und dementsprechend stark politisiert. In anderen Ländern, z. B. Österreich, der Schweiz und Deutschland mit einem vermeintlichen Überfluss an Wasser, hat die öffentliche Unsichtbarkeit des Themas unterschiedliche Gründe: es kann ein Nicht-Vorhandensein eines generellen Nachhaltigkeits-Diskurses sein, aber auch eine Privilegierung wirtschaftlicher Interessen bzw. ein Verleugnen nachhaltiger Verteilungs- und Versorgungsprobleme durch die Politik. Damit wird das Thema gezielt aus der öffentlichen Agenda herausgehalten.

Welche Ergebnisse waren für Sie besonders überraschend?

Wir haben neben der Medienanalyse qualitative Befragungen im Rahmen von Fallstudien durchgeführt, in Österreich, im CEE-Raum, in Kalifornien und Australien. Dabei hat sich herausgestellt, dass es beim Wissen über den verantwortungsvollen Umgang mit Wasser keinerlei geographischen Zusammenhang gibt. Man könnte ja annehmen, dass im trockenen, von Dürren betroffenen Australien das Thema Wasserknappheit weit höher über der Aufmerksamkeitsschwelle liegt als im wasserreichen Österreich. Das war nicht so. Die Aufmerksamkeit hängt allein von der ganz individuellen Betroffenheit des/der Einzelnen ab. Im Gegensatz dazu gibt es aber einen enormen Wissensunterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung darüber, woher das Wasser kommt und wohin es geht – und einen Unterschied im tatsächlichen, verantwortungsvollen Umgang damit.

für ad astra: Annegret Landes


Zum Projekt
Das Projekt „Problematization of Water Supply and Scarcity“ wurde vierstufig durchgeführt, beginnend mit einer Bestandsaufnahme der Strukturen, die in Europa im Bereich Wasserversorgung vorliegen. Darauf aufbauend wurde eine Analyse der bestehenden Kommunikationsstrukturen und -prozesse des öffentlichen Diskurses zu diesen Themen durchgeführt (Medienanalyse). In der dritten Stufe wurde eine Publikumsbefragung zur öffentlichen Wahrnehmung des Themenfeldes Wasserversorgung und Knappheitsrisiko durchgeführt; in einer ergänzenden vierten Stufe wurden in explorativen Fallstudien diese Ergebnisse vertieft. Das Projekt wird mit Unterstützung der Privatstiftung Kärntner Sparkasse durchgeführt.

 

Zur Person

Franzisca Weder ist assoziierte Professorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft. Sie forscht u. a. zu Organisationskommunikation, Öffentlichkeitsforschung und Corporate Social Responsibility.

Weder Franziska | Foto: aau/photo riccio

Der Beitrag No care, if it’s there. Der Umgang mit Wasser im öffentlichen Diskurs. erschien zuerst auf Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Source: AAU TEWI

Der Mensch ist, was er isst.

Fleisch

Der westliche Ernährungsstil der Gegenwart ist nicht nur für unser Klima und die Biodiversität schädlich, sondern letztlich auch für den Menschen. Karlheinz Erb forscht zu Landnutzung und kommt dabei zu brisanten, aber auch ermunternden Ergebnissen für unsere Ernährungsgewohnheiten.

Herr Erb, was haben Sie heute zu Mittag gegessen?
Ich war kurz zuhause und hatte Pasta mit Thunfischsauce.

Mit schlechtem oder ohne schlechtes Gewissen?
Naja, es zählt ja nicht das Einzelevent, sondern der Durchschnitt des Jahres. Am Institut für Soziale Ökologie sind wir in der Landnutzungsforschung tätig, von daher kann ich relativ wenig zu mariner Biomasse sagen. Persönlich glaube ich aber, dass der Fischfang schon sehr prekär ist, und ich bemühe mich, mit dem Fischkonsum Maß zu halten.

In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich damit, wie die Menschheit bei maximaler Schonung unserer Ressourcen zu ernähren wäre. Dabei verlieren tierisch produzierte Nahrungsmittel gegenüber Pflanzen meistens. Warum?
Früher, als in der vorindustriellen Gesellschaft Nahrungsmittel knapp waren, war es lebensnotwendig, Tiere vorwiegend als Arbeitskraft und zum Transport zu halten. Ziel war es, Nährstoffe am Ackerland zu konzentrieren und die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten. In diesen Zeiten waren Tiere auch lebende Kapitalbestände, auf die man unter harten Bedingungen zurückgriff, um sie zu schlachten und zu essen. Sie waren aber niemals dafür da, um täglich ein Schnitzel zu konsumieren.

Worin liegen die Vorteile der Tiere?
Die agrarische Gesellschaft ist von Knappheit von Energie und Fläche gezeichnet. Tiere bieten hier große Vorteile, weil sie auf Flächen fressen, die man nicht als Acker nutzen kann. Außerdem stellen Tiere eine Proteinquelle dar – das ist besonders wichtig in Ländern oder Situationen, in denen diese sonst knapp sind. Das war in Österreich noch vor rund 100 Jahren der Fall. Weltweit lebt derzeit rund die Hälfte der Weltbevölkerung in agrarischen Gesellschaften.

Und wir in der Industriegesellschaft?
Hier verzehrt der Mensch nicht die Biomasse, die am Feld angebaut wird, sondern man veredelt Biomasse als Fleisch und konsumiert dann viel zu viel davon. Damit nimmt die Effizienz der Landnutzung ab. Wir meinen damit: Tiere produzieren nicht nur Fleisch, sondern sie sind selbst auch am Leben und verbrauchen in diesem Sinne Energie – wenn Tiere also von Ackerland ernährt werden, sinkt die Effizienz, weil man Ackerprodukte auch direkt konsumieren kann, ohne den Umweg über die Tiere.

Will sich überhaupt alle Welt dermaßen fleischzentriert ernähren?
Der westliche Ernährungsstil mit vielen tierischen Produkten ist derzeit im Vormarsch. Allerdings nicht überall im gleichen Ausmaß. In Indien beobachten wir dies deutlich weniger. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppierungen entwickeln sich auch sehr verschieden. Wie lange sich dieser Trend ausweiten kann, hängt von vielerlei ab, unter anderem von der Frage, was wir dafür in Kauf zu nehmen bereit sind: Wie viel Klimawandel, wie viel Biodiversitätsverlust, wie viel Treibhausgasemissionen sind wir bereit zu akzeptieren? Das Problem dabei ist: Das Erdsystem zeigt uns die Folgen unseres Handelns erst sehr viel später; mitunter vielleicht auch erst, nachdem wir einen Punkt überschritten haben, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Wie träge verändert sich das Ernährungsverhalten des Menschen?
Wenn man sich ansieht, was hierzulande vor 50 Jahren gegessen wurde, sehen wir, dass sich vieles innerhalb weniger Generationen umstellen kann. Im Weltdurchschnitt ist es allerdings so, dass sich der westliche Ernährungsstil zunehmend zum globalen Vorbild entwickelt. Dabei wird zu viel gegessen, zu viele Lebensmittel sind stark verarbeitet und die Abfallströme sind zu hoch. Hier könnte es viel Verbesserungspotenzial geben. Alle Maßnahmen aber, die darauf abzielen, mehr zu produzieren und die Effizienz der Produktion zu steigern, haben das Problem, dass die Gewinne durch Überkonsum wieder zunichte gemacht werden. Wir zeigen in unseren Studien, dass eine Veränderung des Konsumniveaus gewinnbringender als eine Steigerung des Produktionsniveaus sein kann.

Lässt sich ausrechnen, was umweltschonender ist: die Bio-Milch vom regionalen Bauernhof oder die Sojamilch aus den Tropen?
So leicht ist das nicht, weil das Ergebnis davon abhängt, welche Indikatoren man anlegt. Betrachtet man das gleiche Produkt, schlägt üblicherweise das näher produzierte Produkt das andere. Bei verschiedenen Produkten muss man aber viel mehr Faktoren in Betracht ziehen. Wenn man beispielsweise die Abholzung des Regenwalds der Sojaproduktion anrechnet, müsste man die Abholzung Europas vor 1.500 Jahren auch den Rindviechern zuschreiben. Hier saubere Szenarien zu entwickeln, ist herausfordernd.

Eine Ihrer jüngsten Studien zeigte, dass es sogar möglich wäre, die gesamte Weltbevölkerung mit ökologisch produzierten Lebensmitteln zu ernähren. Wie könnte das gelingen?
Ökologischer Landbau für alle geht, und er geht auch gleichzeitig nicht. Er funktioniert – durch den erhöhten Flächenbedarf – nur, wenn man flankierende Maßnahmen trifft, indem man z. B. weniger Fleisch konsumiert oder die Abfallströme optimiert und die Flächennutzung umgestaltet. Um zu vermeiden, dass gleichzeitig alle Vorteile verspielt werden, müssten die Einschnitte aber drastisch sein: Der Konsum tierischer Produkte müsste auf ein Drittel vom heutigen Niveau weltweit reduziert werden. Das bedeutet einen massiven Einschnitt für die Industriestaaten, während man in Afrika und in großen Teilen Asiens den Fleischverzehr gar nicht reduzieren kann. Die Reduktion betrifft hauptsächlich Schweinefleisch, weil Ziegen, Rinder und Schafe Biomasse verdauen können, die der Mensch nicht verarbeiten kann, wodurch weniger Nahrungsmittelkonkurrenz entsteht.

Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Es gibt nicht viel Anlass zu Optimismus, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Im Moment veranlasst uns nichts zur Annahme, dass der Mensch den Klimawandel und den Biodiversitätsverlust so ernst nimmt, dass er – im breiten Durchschnitt – sein Handeln verändert. Aber desto länger die Gesellschaft den Klimawandeldiskurs nicht ernst nimmt, desto höher wird die Rechnung ausfallen. Die gute Nachricht ist aber, dass es besonders in der Ernährung relativ viele Optionen gibt. Eine Kombination mehrerer Optionen auf moderatem Niveau erlaubt bereits, den Druck auf die Ökosysteme stark zu reduzieren.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Karlheinz Erb ist assoziierter Professor für Landnutzung und Globalen Wandel am Institut für Soziale Ökologie, das mit Anfang März 2018 von der Alpen-Adria-Universität an die Universität für Bodenkultur übertragen wird. Er war unter anderem Preisträger eines ERC Start-Preises. Erb ist in mehreren hochkompetitiv geförderten Projekten, u. a. EU-Horizon2020 sowie ÖAW, tätig und hat über 100 Artikel in peer-reviewed Journals veröffentlicht, zuletzt u. a. als Erstautor zu „Unexpectedly large impact of forest management and grazing on global vegetation biomass“ in Nature (doi:10.1038/nature25138).

Karl-Heinz Erb | Foto: Pilo Pichler

Der Beitrag Der Mensch ist, was er isst. erschien zuerst auf Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Source: AAU TEWI

Deutsch-Mandarin, Syrisch-Deutsch oder Slowenisch-Deutsch? Von den Wertigkeiten der Mehrsprachigkeit

Hans Karl Peterlini und Alexander Onysko im Wappensaal im Landhaus Klagenfurt

Die Nationalstaatsidee wünscht sich perfekte Einsprachigkeit. Die Sprachwissenschaft hingegen sieht Mehrsprachigkeit als etwas Normales an. Und Mehrsprachigkeit ist nicht gleich Mehrsprachigkeit: Während bildungsbürgerliche Eltern ihre Kinder mitunter schon im Kindergarten in den Mandarin-Unterricht schicken, genießen syrisch-deutsch Sprechende wenig gesellschaftliche Hochachtung. ad astra hat mit dem Linguisten Alexander Onysko und dem Bildungsforscher Hans Karl Peterlini über den Status der Mehrsprachigkeit gesprochen.

Wie mehrsprachig ist Ihr Alltag?
Onysko: Mein Alltag ist allein schon durch meine Arbeit recht mehrsprachig. An unserem Institut für Anglistik und Amerikanistik ist Englisch unsere Umgangssprache. Deutsch ist hier meine
Nebensprache. Außerdem ist meine Frau Italienerin und Sprachwissenschaftlerin in Anglistik. Wir haben nun unser erstes Kind bekommen, das wir gerne dreisprachig – also Englisch, Deutsch und Italienisch – aufwachsen lassen wollen.
Peterlini: Mein Alltag ist weniger mehrsprachig, als man für jemanden vermuten könnte, der wie ich aus einem zweisprachigen Gebiet wie Südtirol kommt. Das Englische kommt in meinem Alltag kaum vor; eher nur in der Lektüre. Zuhause ist Deutsch unsere Familiensprache. In meiner Kindheit hat mich das Italienisch meiner Großeltern begleitet. Uns ist es aber nicht gelungen, Italienisch in der Familie hinzuzunehmen, weil das gekünstelt gewirkt hätte. Unseren Kleinsten wollte ich auf den italienischen Kindergarten vorbereiten, indem ich im Sommer davor mit ihm begonnen habe, italienisch zu sprechen. Da hat er sich aufgeregt und eingefordert: „Papi, red normal!“ Im Kindergarten hat er sich aber sehr schnell zurechtgefunden und auch die neue Sprache
erlernt. Bei Kindern gilt ja: Wenn man kein Drama macht, machen sie auch keines. Hier in Kärnten ist mein großer Vorsatz, Slowenisch oder BKS zumindest ansatzweise zu lernen. Bisher habe ich das nicht geschafft, aber ich genieße es auch, wenn meine Kolleginnen und Kollegen untereinander slowenisch sprechen und ich der Melodie der Sprache lauschen kann.

Ihr Blickwinkel auf Mehrsprachigkeit ist positiv. Wie kann man sich erklären, dass sich manche so sehr davor fürchten?
Peterlini: Es gibt diese unheilvolle Koppelung im Nationalstaat zwischen Demos und Ethnos. Man glaubt, der Nationalstaat bedarf eines Volkes, das eine Sprache spricht. Sprachliche Vielfalt wird als Störung begriffen.

War das schon immer so?
Peterlini: Am Hofe wurde früher Mehrsprachigkeit sehr gepflegt: Die privilegierten Schichten durften also sehr wohl in Französisch und Latein parlieren. Das Volk hingegen sollte einsprachig sein, weil man annahm, dass die Zweisprachigkeit den Geist und den Charakter überfordert. Mancherorts sind Stränge dieser Sprachideologie auch heute noch präsent. Man glaubt, dass eine zweite oder dritte Sprache die erste Sprache gewissermaßen beschädigt.
Onysko: Das ist ein defizitärer Zugang zur Mehrsprachigkeit. Die Annahme ist tatsächlich, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder im Vergleich mit einsprachigen in Studien ein kleineres Vokabular aufweisen würden. In gemeinsamen Schulsituationen wird das häufig defizitär gehandhabt, was wiederum zu einer Abwärtsspirale führen kann.

Was sagt die Linguistik dazu?
Onysko: Da sind die Befunde recht eindeutig: Mehrsprachige Kinder haben insgesamt das gleiche Vokabularvermögen und können Fehlendes im Laufe ihrer Lebens- und Lernjahre ausgleichen. Mit 11 bis 12 Jahren können die meisten Kinder beide Sprachen gleich gut. Der Erfolg kommt auf den Sprachinput an. Grundsätzlich gilt es aber, ein wenig Geduld zu haben und Aufklärungsarbeit zu leisten, damit diese Kinder auch entsprechend in den Schulen gefördert werden. Lehrerinnen und Lehrer sollen die Chance haben zu erkennen, dass sich diese Kinder ganz normal entwickeln.

Welche Effekte hat Mehrsprachigkeit?
Onysko: Studien zeigen, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder besser von einer Aufgabe zu einer anderen umschalten können, beispielsweise davon, Bilder nach einer Farbe und später nach ihrer Form zu sortieren. Da sind sie schneller. Sie scheinen eine höhere kognitive Flexibilität zu haben; etwas also, das sich auch im Zusammenleben mit anderen äußert.

Verstehen Sie, dass Schulen aber dennoch lieber einsprachig geführt werden?
Onysko: Schulen folgen oft einer Sprachideologie, die das „perfekte“ Beherrschen einer Sprache vorsieht. Hierfür gibt es Standards, die es zu erfüllen gilt. Wird nur eine Sprache gesprochen, vereinfacht das organisatorische Abläufe. Unsere Gesellschaft ist momentan nicht so strukturiert, dass mehrere Sprachen nebeneinander einfach passieren können.
Peterlini: Auf der Schule lastet dieser Druck, die perfekte Einsprachigkeit hervorzubringen oder von den Kindern gewissermaßen herauszuholen. Diese perfekte Einsprachigkeit ist aber ein Mythos, den es im Grunde gar nicht gibt. Die schon genannte kognitive Flexibilität bei Mehrsprachigen ist auf vielen Ebenen ein Gewinn. Heute sind Kompetenzen wie das Switchen zwischen unterschiedlichen Systemen und Kodizes, ein Zurechtfinden zwischen unterschiedlichen Problemen, ein Übersetzen zwischen Herausforderungen, die vielleicht gar nichts mit Sprache zu tun haben, ganz wesentlich. Das ist auch für die Einsprachigen wichtig: Auch sie haben so etwas wie innere Mehrsprachigkeit, indem sie beispielsweise vom Dialekt in die Hochsprache wechseln oder situationsangepasst sprechen können.

Gibt es momentan eine Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung?
Peterlini: Es gibt die Phantasie, dass die Mehrsprachigkeit die nationale Kultur bedroht. Auch wenn das nur Hülsen und Floskeln sind: Heute scheinen sich mehr Menschen denn je in ihrer nationalen Kultur bedroht zu fühlen. Deshalb habe ich eher das Gefühl, dass sich so manches rückwärts bewegt, zumindest in den regionalen Gefügen, die ich kenne.

Wie ist die Situation in Südtirol?
Peterlini: Dort ist die amtliche Zweisprachigkeit vorbildhaft, es ist also alles zweisprachig beschildert und ausgewiesen. In den wenigen Orten, wo italienische und deutschsprachige Südtirolerinnen und Südtiroler zusammenleben, wechselt man auch schnell zwischen den Sprachen und geht recht selbstverständlich damit um. Aber die sprachgeographische Situation zeigt weitgehend einsprachige Gebiete, in denen Italienisch nur mehr formal präsent ist. Das Schulsystem ist geteilt mit einer Erst- und einer Zweitsprache. In den letzten Jahren gab es geduldete Unterwanderungen, zum Beispiel Fachunterricht in der Zweitsprache, die Erhöhung der Stundenzahl in der Zweitsprache, aber auch Einschreibungen in die jeweils andere Schule; d. h. italienische Kinder kamen in die deutsche Schule und umgekehrt. Nun fordert man vielerorts wieder strengere Regeln. Eine wirklich mehrsprachige Schule ist in Südtirol ein politisches Reizwort.
Das, was es in Kärnten trotz vieler Angstdiskurse beispielsweise in der Volksschule 24 in Klagenfurt gibt, also eine Woche deutscher und eine Woche slowenischer Unterricht, wäre für Südtirol ein bisher undenkbares Novum.

Wo auf der Welt gibt es denn harmonisch gelebte Mehrsprachigkeit?
Onysko: Die Idee des Nationalstaats mit einer Einheitssprache stammt aus Europa und hat sich von hier aus auch ausgeweitet. International gibt es aber schon Gebiete, die mehrsprachiger sind und das auch selbstverständlicher leben. So ist das Englische in vielen Ländern Afrikas im postkolonialen Kontext noch immer stark präsent und fungiert als zwischenethnische Verbindungssprache überall dort, wo viele andere Sprachen gesprochen werden. In Indien, wo es mehr als 600 Sprachen gibt und 67 davon als Unterrichtssprache Verwendung finden, lernen Kinder üblicherweise Englisch, Hindi und ihre Regionalsprache. Sprachen haben hier auch verschiedene Funktionen und werden in sozialen Kontexten verwendet. Generell kann man aber vielleicht sagen: Überall dort, wo es recht viele Sprachen gibt, ist die Mehrsprachigkeit auch gesellschaftlich stärker repräsentiert.

Wie sehr kann der Staat hier lenkend eingreifen?
Onysko: Vieles ist machbar, so manches aber auch nicht. Ich habe Studien in Neuseeland durchgeführt und dabei das Verhältnis zwischen den Māori und den Neuseeland-Europäern kennengelernt. Māori hat einen Vorzeige-Status: Es gibt Māori-Schulen, Māori-Kindergärten und Māori-angepasste Strukturen allerorten. Die offizielle Zweisprachigkeit ist an der Oberfläche allgegenwärtig, und es gibt einige Initiativen, die Minderheitensprache noch mehr im alltäglichen Leben zu repräsentieren. Dahinter steht aber trotzdem eine starke gesellschaftliche Zweiteilung und es existieren wenig Anreize, die Māori-Sprache außerhalb von Māori-Kontexten zu verwenden. Die Māori, die gebildet sind, sind zweisprachig und bikulturell und können sich in beiden Welten bewegen. Allerdings wachsen viele der Māori einsprachig mit Englisch auf, und die indigene Sprache Neuseelands ist dadurch weiterhin in Gefahr auszusterben. Den weniger Gebildeten gelingt das nicht, und sie werden – notgedrungen mit ihrer Sprache – auch an den sozialen Rand gedrängt.
Peterlini: Sprache ist auch politisch, weil sie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Gerade da, wo sich Mehrheiten-Minderheiten-Räume ergeben, schieben sich Fragen der Machtverteilung und des politischen Sprechens in den Diskurs. In Südtirol ist die Minderheitensprache Deutsch ja stark und kann es sich leisten, auf Abschottung zu gehen. Das Slowenische in Kärnten gehört nicht zu den Prestigesprachen und hat zusätzlich den Makel, die Sprache des ideologischen Feindes gewesen zu sein. Daher ergibt sich, wenn auch oft unterschwellig, immer
ein Kampf um das Bestehensrecht des Schwächeren.

Inwiefern werden Machtverhältnisse durch das Hinzukommen von neuen migrantischen Sprachen durcheinandergerüttelt?
Peterlini: Das ist spannend. So ist es beispielsweise im kanadischen Québec so, dass sich Migrantinnen und Migranten prinzipiell in die französische Schule einschreiben müssen, um die französische Minderheit nicht zu schwächen. In Südtirol haben MigrantInnen freie Schulwahl und sie teilen sich ungefähr gleich auf. Weil es aber viel weniger italienische Schulen gibt, ist dort die so genannte Migrationsdichte viel höher. Nun führt dies zu zwei Ethnodiskursen: Einerseits fürchtet man sich vor den Fremdsprachigen in den deutschen Schulen, weil dann dort ja nicht mehr richtig Deutsch gelernt werden könne, und andererseits fürchtet man sich vor ihnen in den italienischen Schulen, weil so in Summe mehr Italienerinnen und Italiener heranwachsen würden
und man in die Rolle der Minderheit geraten könnte. Die hochpolitische Debatte um das Symbol Sprache überlagert dabei soziale Thematiken, die eigentlich viel relevanter wären.

Wenn nun aber eine Lehrerin vor einer Klasse steht, in der nur wenige Deutsch sprechen und die Vielfalt zum nicht bewältigbaren Alltagsproblem verbunden mit sozialen Herausforderungen wird: Was raten Sie ihr?
Onysko
: Das ist schwer lösbar, nicht zuletzt, weil jede Sprache in unserer Gesellschaft eine bestimmte Wertigkeit hat und die Migrationssprachen wenig Ansehen genießen. Solange die Gewichtung so bestehen bleibt, wird es immer das Bestreben geben, die Herkunftssprachen zugunsten des Deutschen zurückzudrängen. Wenn man nicht nur deren Sprachen, sondern auch die Menschen entsprechend fördert, wird das für alle weniger tragisch sein. Dahinter steht aber auch die politische Frage: Will man jenen, die zu uns kommen, auch tatsächlich etwas abgeben, sei es auch nur Raum für deren Sprache? Für mich als Linguist aber gilt: Mehrsprachigkeit ist normal und gut für die kognitive Entwicklung. Alle könnten profitieren.
Peterlini
: Bei der Frage, wie Schule sein soll, wird nicht von den Gegebenheiten ausgegangen, sondern von einem Lernziel. Wenn es das Ziel ist, dass migrantische Kinder in kurzer Zeit so gut Deutsch können müssen wie bildungsbürgerliche deutschsprachige Kinder, dann ist Schule zum Scheitern verurteilt. Derzeit wird sprachlicher und kultureller Reichtum verworfen und es werden Menschen geknickt, bevor sie aufstehen können. Wir müssen schauen: Wie ist die Situation? Was braucht eine solche Schule? Wen kann man einbeziehen? Wenn Schulen hier freier agieren könnten, würden sie weit kommen. Wir wissen: Je mehr die Herkunftssprache geschätzt wird, desto höher ist auch der Lernerfolg in der Zielsprache. Der Beweis, dass Schule mit hoher Vielfalt gelingen kann, wird überall dort erbracht, wo Lehrkräfte kreative Arbeit machen können und von den starren Zielvorstellungen befreit werden.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person

Alexander Onysko (links im Bild), geboren 1974 in Lienz, ist seit 2016 Universitätsprofessor für Anglistische Sprachwissenschaft am Institut für Anglistik und Amerikanistik. Seit Jänner 2018 ist er außerdem Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften. Onysko studierte Anglistik und Amerikanistik an der Universität Innsbruck. Neben einem Fulbright-Aufenthalt in den USA war er Vertretungsprofessor an den Universitäten Hamburg und Bochum, Gastprofessor an der Universität Innsbruck sowie Gastdozent an der Universität Göteborg. Von 2012 bis 2015 war er Forscher und Projektleiter an der EURAC (European Academy) in Bozen. Alexander Onysko verbrachte unter anderem einen Forschungsaufenthalt an der University of Waikato in Hamilton, Neuseeland, zur Erforschung des Englischen im Kontakt mit der indigenen Māori-Sprache. Vor seiner Berufung an die AAU war er Associate Professor für Englische Linguistik an der Universität Venedig.

Im Gespräch zum Thema Mehrsprachigkeit: Alexander Onysko | Foto: Daniel Waschnig im Wappensaal im Landhaus in Klagenfurt

Im Gespräch zum Thema Mehrsprachigkeit Hans Karl Peterlini | Foto: Daniel Waschnig im Wappensaal im Landhaus in Klagenfurt

Zur Person

Hans Karl Peterlini (rechts im Bild), geboren 1961 in Bozen, ist seit September 2014 Universitätsprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Interkulturelle Bildung am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Hans Karl Peterlini absolvierte 2006 das Studium der psychoanalytischen Erziehungswissenschaft sowie das psychotherapeutische Propädeutikum an der Universität Innsbruck. Zuvor war er Chefredakteur und Herausgeber gesellschaftspolitisch orientierter Medien in Südtirol sowie Autor zahlreicher Studien zu Mehrheits-Minderheiten-Fragen, Gewaltdynamiken und Prozessen des Zusammenlebens in historisch belasteten und ethnisierten Gesellschaften am Beispiel Südtirol. 2010 promovierte er an der Freien Universität Bozen. Vier Jahre später habilitierte Peterlini an der „School of Education“ der Universität Innsbruck. Von 2011 bis 2014 war Hans Karl Peterlini im Innsbrucker Forschungszentrum „Bildung-Generation-Lebenslauf“ und als Forschungsmitarbeiter der Freien Universität Bozen in Schul- und Migrationsprojekten tätig.

Ursula Doleschal | Foto: Riccio

Hintergrund: Mehrsprachigkeit in Forschung und Lehre

Seit 1999 besteht an der Alpen-Adria-Universität die Arbeitsgemeinschaft „Mehrsprachigkeit“, die Forscherinnen und Forscher der AAU vereint, die innerhalb ihrer eigenen Disziplinen zum Thema Mehrsprachigkeit arbeiten. Die AG, der Ursula Doleschal, Professorin am Institut für Slawistik, als Sprecherin vorsteht, organisiert jährlich Ringvorlesungen, hat ein Wahlfachmodul „Mehrsprachigkeit“ eingerichtet und setzt sich für die dauerhafte Verankerung des Themengebiets im Lehr- und Forschungsportfolio der Universität ein. Der AG gehören 17 Mitglieder an. Im ab 2019 geltenden Entwicklungsplan der Alpen-Adria-Universität ist im Kontext der Implementierung des neuen Lehramtsstudiums auch die Einrichtung einer Professur „Mehrsprachigkeit unter besonderer Berücksichtigung der (Fremd-)Sprachendidaktik“ vorgesehen. Den aktuellen Herausforderungen im zunehmend mehrsprachigen Schulalltag in Österreich will man auch andernorts vermehrt wissenschaftlich fundiert begegnen: So gibt es in Österreich seit ein paar Jahren auch auf Hochschulebene Bestrebungen, die Integration der Mehrsprachigkeit an den Schulen stärker zu thematisieren und in die Lehrerbildung einfließen zu lassen. Die Pädagogische Hochschule Wien spielt dabei unter anderem eine Vorreiterrolle.

Doch wie (gut) funktioniert Mehrsprachigkeit nun wirklich an Schulen? Vladimir Wakounig (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung) begleitet die Klagenfurter Volksschule 24/Ljudska šola 24 wissenschaftlich, die einen paritätisch zweisprachigen Unterricht anbietet. Die Unterrichtssprachen Slowenisch und Deutsch werden an der Schule wöchentlich gewechselt, wobei jede Sprache an eine Lehrperson gebunden ist. Gleichzeitig führt ein Forschungsteam rund um Ursula Doleschal für die Klagenfurter Hermagoras Volksschule/Mohorjeva ljudska šola ein Projekt durch, bei dem es darum geht, Aufsätze und Schularbeiten von Schülerinnen und Schülern der zweisprachigen Schule zu digitalisieren, zu analysieren und auszuwerten. „Damit wollen wir den Lernfortschritt in Deutsch und Slowenisch in einer zweisprachigen Volksschule untersuchen“, so Doleschal. Die Ausgangsbasis dieser Kinder sei sehr unterschiedlich, von daher gebe es auch ein großes Interesse an einer Evaluierung des Lernfortschritts: „Manche sind muttersprachlich zweisprachig aufgewachsen, andere haben Slowenisch im Kindergarten gelernt, andere kommen ganz ohne muttersprachliche Kenntnisse in einer der beiden Sprachen an diese Schule.“ Die Eltern der Kinder hätten, so Doleschal, auch sehr unterschiedliche Erwartungen: „Die einen wollen, dass die Kinder Slowenisch lernen, die anderen wollen, dass sie Deutsch lernen. Und viele stellen den Anspruch, dass die Kinder in so einem Umfeld möglichst tolerant und weltoffen aufwachsen. Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder in beiden Sprachen gleichermaßen voran zu bringen und den Lehrplan zu erfüllen.“ In diesem spannenden Forschungsfeld gelte es nun in Kärnten, erstmals – „mehr als impressionistische“ – Einsichten darüber zu gewinnen, wie sich der Lernfortschritt in der geschriebenen Sprache abbildet.

Der Beitrag Deutsch-Mandarin, Syrisch-Deutsch oder Slowenisch-Deutsch? Von den Wertigkeiten der Mehrsprachigkeit erschien zuerst auf Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Source: AAU TEWI

“Little Math Art Gallery” eröffnet

Elisabeth Gaar mit ihrem Bild "Interaction" | Foto: Angelika Wiegele

Die Universität ist um einen Kunstort reicher

„Interaction“ von Elisabeth Gaar, „Digits in a Galaxy“ von Daniel Krenn, „Not Quite Li & Yorke“ von Christan Pötzsche, „Climbing Densities“ von Benjamin Hackl und „Controlled Deflection“ von Barbara Kaltenbacher: Mit diesen fünf Werken wurde die am 8. März 2018 die „Little Math Art Gallery“ feierlich eröffnet.
2017 bezogen die Mitglieder des Mathematikinstituts ihre nun nebeneinander liegenden Büroräume im Westen des Nordtrakts Ebene 2. Vor der großen Renovierung dieses Institutsgebäudes lagen ihre Büros disloziert. Animiert von der Frische und Klarheit der nun gemeinsamen Arbeitsumgebung initiierte Angelika Wiegele eine besondere Form der Wandgestaltung, die die „Schönheit der Mathematik“ zeigen kann. Sie bat Kollegen und Kolleginnen um die grafische Umsetzung von mathematischen Problemstellungen und persönlichen Forschungsschwerpunkten. Für Wiegele, die mit Gabi Aschauer das Projekt kuratierte, wird nun „mehr Farbe und mehr Mathematik in die Gänge der Universität gebracht“.
Die fünf, sehr unterschiedlichen Bilder sind nun inklusive Erläuterungen jederzeit für die Öffentlichkeit zugänglich. Die neue, kleine Galerie bedeutet einen erfreulichen Zuwachs des auch sonst künstlerisch gut ausgestatteten Universitätscampus´.

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Source: AAU TEWI